Der Kalvarienberg bei Füssen gilt unter Einheimischen noch als einer der Geheimtipps. Bürger werfen der Tourismuswerbung vor, jetzt auch diese Plätze noch zusätzlich in den Fokus zu rücken.

Längst haben Touristiker die reine Fokussierung auf das Marketing aufgegeben. Sie haben inzwischen auch die Bedürfnisse der Einheimischen im Blick. An welchen Stellschrauben FTM-Chef Fredlmeier drehen will.

Im März wird es langsam wieder wärmer. Und je wärmer es wird, umso mehr Tagesgäste und Urlauber strömen in die Region – bis im Sommer vom Massentourismus die Rede ist. Dann sind Straßen verstopft, Läden überlaufen, Lokale bis auf den letzten Platz besetzt und Horden Erholungssuchender tummeln sich an Seen und in den Bergen. Spätestens dann sind viele Füssenerinnen und Füssener genervt vom Tourismus vor ihrer Haustür. Die Belastungen der Einheimischen mag auch Füssens Tourismus-Chef Stefan Fredlmeier nicht in Abrede stellen, mit Wohnsitz in Hopfen am See kennt er sie nur zu gut. Doch hätten auch Touristiker die frühere reine Fokussierung auf Marketing längst aufgegeben und legten viel Wert auf die Gestaltung des Lebensraums, der Einheimische und Gäste gleichermaßen ansprechen müsse. Im Gespräch erklärt der Tourismusdirektor, an welchen Stellschrauben man drehen sollte, um den Lebensraum insbesondere für Einheimische attraktiver zu gestalten.

Positive Resonanz erfahren Touristiker eher selten, räumt Fredlmeier ein. Was er eher hört: „Ich muss hier leben mit höheren Mieten und Preisen, mit vielen Staus und Menschen.“ Insbesondere das „muss“ stört Fredlmeier. Denn für ihn steht fest: „Wir dürfen hier leben, wir sind absolut privilegiert.“ Man habe eine einmalige Altstadt, eingebettet in eine wunderbare Landschaft. Diese enorme Attraktivität befördere natürlich auch den Tourismus. Wobei Fredlmeier einräumt: „In den Stoßzeiten werden wir im Prinzip vom Erfolg erschlagen.“

Und in Zukunft wird diese Belastung nicht geringer: „Der Druck auf unseren Lebensraum wird tendenziell nicht kleiner“, sagt der Tourismus-Chef mit Blick auf prosperierende Metropolregionen wie München und Stuttgart vor der Haustür. „Die Menschen wird man nicht davon abhalten können, nach Füssen zu fahren.“

„Die reine Quantität des Interesses an Füssen wird steigen. Umso wichtiger ist es, bei den Themen Verkehr und Besuchermanagement weiter zu kommen.“

Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier

Soll man die Belastung also einfach als gottgegeben ansehen und murrend ertragen? Nein, sagt Fredlmeier: „Auch der letzte Touristiker hat definitiv verstanden, dass man das nicht aussitzen kann.“ Man müsse einen Lebensraum anbieten, der gleichermaßen attraktiv für Einheimische wie Gäste sei. Dabei sei wichtig: „Wir können unseren Lebensraum niemals konfrontativ, sondern nur im Diskurs, mit gemeinsamen Verständnis und der Bereitschaft zum Kompromiss gestalten.“

Dazu muss auch die Problemlage analysiert werden. Als problematisch erachtet Fredlmeier die Sommermonate mit dem Ansturm an Tagesgästen – wobei man diesen Ansturm nicht stoppen und auch keine „Reservate“ für Einheimische ausweisen könne (siehe Infokasten ). Deshalb kochten im Sommer mitunter die Emotionen hoch, für den Tourismusdirektor trifft das vor allem für den Bereich Mobilität zu. „Wir haben massive Probleme mit dem Verkehr.“ Hier müsse man an den Stellschrauben drehen. Mit Blick auf die Blechlawinen rund um die Altstadt sagt er: „Das letzte überhaupt noch in der Diskussion verbliebene Szenario ist momentan der Stadttunnel im Hinblick auf den Durchgangsverkehr und um die Innenstadt ganz anders zu entwickeln.“

Zudem sei eine grundlegende Verbesserung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) ein zentraler Punkt. „Daran kommen wir überhaupt nicht vorbei“, sagt Fredlmeier. Nur dann sei eine nennenswerte Verlagerung des Individualverkehrs zu erreichen – und damit eine höhere Nutzung des ÖPNV durch Einheimische und Gäste. Ein Versuch, den Füssen Tourismus und Marketing (FTM) federführend für die Stadt Füssen im Sommer mit Schwangau und Hopferau plant: Ein Spätbus soll im Juli und August zwischen den Orten verkehren. Gäste wie Einheimische können dann auch in anderen Ortschaften einkehren, ohne selber fahren zu müssen.

Nachdem das von der Stadt Füssen angedachte digitale Parkleitsystem aufgrund der Finanznot erst einmal auf Eis liegt, will FTM nun mit einer kleineren Lösung einspringen, um den starken Parksuchverkehr zu reduzieren. Bei öffentlichen, aber auch privaten Parkplätzen soll eine entsprechende Sensorik mit Kameras aufgebaut werden, um die Auslastung der Stellplätze zu erfassen und auf Internet-Plattformen auszuspielen. Das werde nicht so perfekt sein wie ein großes Parkleitsystem, sagt Fredlmeier. Doch engagiere man sich hier, um das Problem mit dem Parksuchverkehr in den Griff zu bekommen und dadurch eine entzerrende Besucherlenkung zu erreichen. Letztlich gehe es darum, Probleme zu lösen.

„Für uns haben genau diese Themen Priorität, damit Lebensraum funktioniert“, sagt er. Denn andernfalls „steigen uns die Einheimischen aufs Dach und die Gäste fühlen sich nicht mehr wohl“. Deshalb seien positive Beiträge zur Lebensraum-Gestaltung so wichtig, entscheidend sei das Ergebnis: „Das Erlebnis vor Ort muss gut sein.“ Davon profitierten nicht nur Gäste, sondern vor allem die Einheimischen.

Von Geheimtipps und Reservaten

Kritik am Tourismus kocht in Füssen nicht nur im Sommer hoch. Zwei Leser haben unsere Redaktion auf „winterliche Logenplätze“ hingewiesen, für die Füssen Tourismus und Marketing (FTM) im Internet die Werbetrommel rührt. Da werden Orte wie der Kalvarienberg oder die Burgruine Hopfen beworben, die aus Sicht der Leser bislang eher unter die Rubrik Geheimplätze fielen. Geheimplätze für Einheimische, deren Ausverkauf nun FTM betreibe, lautet ihr Vorwurf. Könne man sich nicht auf solche Orte beschränken, die ohnehin bekannt und damit für Einheimische ohnehin schon verloren seien?

Ob der Kalvarienberg oder die Hopfener Ruine tatsächlich Geheimtipps sind, zweifelt Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier an. Finde man sie doch auch im offiziellen Wanderwegenetz. Auch halte er nichts von einer Raumgestaltung mit Ghettos für Gästen und Reservaten für Einheimische: Das sei der falsche Ansatz und führe nicht zu einer Lösung. „Wir leben in einer liberalen Demokratie, bei uns ist freies Reisen möglich.“ Man könne doch Personen nicht davon abhalten, bestimmte Orte aufzusuchen. Solche eine Steuerung, die diese Leser sich offensichtlich wünschten, „ist unrealistisch“.

Bericht: Heinz Sturm, AZ Füssen
Foto: Benedikt Siegert, AZ Füssen

Wir danken der AZ Füssen für die freundliche Überlassung des Beitrages.